Virtual Reality
Oculus Rift und HTC Vive zeigen eindrucksvoll, wozu VR in der Lage ist. Doch den Durchbruch in die virtuelle Realität bringen die Smartphones. Dank Samsung, LG und weiteren Herstellern.
Es ist schon klar: Gerade die anspruchsvollen Gamer, die vielleicht schon einmal Oculus Rift und HTC Vive ausprobieren konnten, sind gespannt auf den April 2016. Dann erscheinen beide VR-Brillen für weit über 700 Euro. Dass für beide Geräte noch entsprechend schnelle PCs mit leistungsstarken Grafikkarten benötigt werden, sollte man nicht einfach unter den Tisch kehren. Im schlimmsten Fall müsst ihr von Anschaffungskosten von deutlich über 1500 Euro ausgehen. So können weder HTC noch Facebook-Tochter Oculus VR den Massenmarkt erreichen. Diese Summen richten sich an Early Adopters und VR-Enthusiasten, die keineswegs unterschätzt werden dürfen. Sie sorgen schließlich dafür, dass aus einem Hype ein Trend, ein Produkt für die Allgemeinheit, eine Alltäglichkeit wird und damit die Preise in den nächsten Jahren sinken.
Klappt das?
Trotzdem: Mittlerweile glaube ich, dass es dieses Highend-VR viel zu schwer haben wird. Abgesehen von enorm hohen Einstiegspreisen sind da auch die Limitierungen. Die Bildqualität kommt schnell an ihre Grenzen, nach wie vor hängen Nutzer an Kabeln, die sie einschränken. Und das, obwohl Rift und Vive ja eine Ortung im Raum versprechen, ihr euch also theoretisch frei bewegen könntet. Praktisch ist das nur in den seltensten Fällen im Wohn- oder Spielzimmer ohne weiteres gegeben. Und Spieleentwickler halten sich noch ziemlich zurück, abgesehen vielleicht von kleineren Indie-Studios und ein paar größeren Schmieden, die jedoch nicht gewillt sind, riesige Millionenbudgets in VR-only-Produktionen zu investieren. Man möchte eben abwarten, ob sich VR durchsetzt und der Markt überhaupt Potential besitzt. Verständlich und nachvollziehbar, wenn ihr mich fragt.
„Eve: Valkyrie“ ist übrigens einer der wenigen VR-Vorzeigetitel…
Eine Ausnahme ist höchstens PlayStation VR, das zwar technisch hinter Rift und Vive zurückbleibt, dafür aber eine Mainstream-taugliche Lösung ist: PS4-Besitzer haben schon die Hälfte der nötigen Hardware daheim stehen, fehlt nur noch das Brillenzubehör, was man sich als Gadget vielleicht zu Weihnachten 2016 schenken lässt. Hier sehe ich durchaus die Chance, dass Sony die noch junge VR-Branche nach vorne bringen kann – weil die PS4 eine sehr ordentliche Verbreitung gefunden hat und man mit Einsteigerfreundlichkeit und einem prominenten Namen lockt.
Mehr Chancen mit Smartphone-VR
Aber! Da ist vor allem der Gigant Samsung, von dem ich mir langsam echt viel im VR-Sektor erhoffe. Und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es die Koreaner schaffen, Virtual Reality in den Massenmarkt zu drücken. Auf einen völlig anderen Weg. Mit Gear VR hat man längst eine Plattform am Start, die technisch funktioniert, dank der Zusammenarbeit mit Oculus VR bequem zu bedienen ist und durch cleveres Marketing in den nächsten Wochen und Monaten ein Millionenpublikum erreicht. Dass Samsung Vorbestellern des Galaxy S7 bzw. S7 Edge eine solche Brille im Wert von 100 Euro quasi hinterherwirft, dürfte zur Folge haben, dass sehr viele Menschen zumindest eine solche Brille besitzen und ausprobieren werden. Das Angebot an Spielen, Techdemos und Videos ist zwar noch überschaubar, aber auch hier wären wir an einem weiteren Punkt: Facebook möchte bei den VR-Videos mitmischen, die Spieleentwicklung wird in vielerlei Hinsicht vorangetrieben. Dass das S7 die mächtige Vulkan-API unterstützt, die Entwickler Epic mit der eigenen Unreal Engine 4 ansprechen kann, zeigt auch andeutungsweise, was uns hier mittelfristig auf Mobiltelefonen erwartet. Konsolennivau auf kleinsten Displays, perspektivisch ganz klar VR-Support und damit mehr Software für die Gear VR.
Im Oculus Store dieser VR-Brille, die es ebenfalls für das S6 (Edge) und Note 5 gibt, tummeln sich jetzt schon erstaunliche Games im Preissegment von 10-15 Euro. Zwar mangelt es ebenfalls an großen Entwicklern, aber der für Endkunden geeignete Dienst steht längst, wird von Samsung durch das S7 weiter gepusht und ich bin davon überzeugt, dass Ende 2016 mindestens 10 Millionen Menschen solch eine VR-Brille mit Smartphone in den Händen halten werden. Eben weil man das S7 sowieso haben wollte oder es durch Handyvertragsverlängerungen günstig bekommen hat. Und weil es natürlich ein enorm leistungsstarkes, attraktives Telefon ist. Wie viele VR-Brillen werden Oculus VR und HTC in der gleichen Zeit verkauft haben? Ein Zehntel? Oder noch weniger? Vermutlich werden wir über Zahlen reden, die für große Spieleentwickler nicht spannend genug sind. Wer steckt schon Unsummen in ein Game für eine Brille, die kaum jemand besitzt? Das lohnt sich doch nicht. Dann lieber attraktive Apps für Gear VR, die überschaubar viel kosten und viele User erreichen. Nicht zufällig arbeitet Samsung an einem Handcontroller für Gear VR, der Bewegungssteurung verspricht. Fehlt eigentlich nur noch die räumliche Tracking, dann hätte man sogar schon einen Vosprung gegenüber Oculus Rift und HTC Vive – nämlich den Verzicht auf die Kabelei.
LG, Google und andere sind auch dabei
Doch nicht nur Samsung wird mobiles VR vorantreiben. LG hat mit dem G5 nicht nur ein ziemlich verspieltes Gadget-Konzept parat, sondern eine VR-Brille, die zumindest auf Googles Cardboard und einen eigenen Dienst (vermutlich im Stil des Oculus Store der Gear VR) aufbaut. Das G5 verfügt über genügend Power und sollte genauso die Vulkan API nutzen können – dank des Qualcomm Snapdragon 820 Chips, der in einigen Regionen dieser Welt auch im Samsung Galaxy S7 steckt. Ebenso in etlichen anderen Telefonen weiterer Hersteller wie Xiaomi (Mi 5) oder HP (Elite X3). Und es gibt ja auch noch SoCs weiterer Firmen, die man nicht ignorieren sollte bzw. von denen noch Prozessoren zu erwarten sind – zum Beispiel Samsung (Exynos 8890), Huawei (Kirin 950), Nvidia (X1) oder gar Apple (A9X). So oder so zeigen die Highend-Smartphones dieses Jahr, was in ihnen steckt. Das technische Niveau einer Xbox 360 oder PS3 haben sie schon 2015 erreicht, langsam nähern sie sich Mittelklasse-Gaming-PCs. Und davon wird mobiles VR weiter profitieren.
Freilich möchte auch Google etwas vom VR-Kuchen haben. Die Andeutung, man will 2016 einen Cardboard-Nachfolger vorstellen, überrascht mich nicht. Diesmal als eigene VR-Brille ohne die Notwendigkeit, ein Smartphone besitzen zu müssen? Na, das klingt mir nach NexusVR und einen weiteren Oculus Rift- aber auch Gear VR-Konkurrenten.
Ich sehe in VR für Smartphones bzw. mit Technik basierend auf Mobiltelefonen der Gegenwart deutlich mehr Chancen auf Erfolg. Viele Menschen legen sich alle zwei Jahre freiwillig ein neues Telefon zu oder bekommen es günstig im Rahmen eines Mobilfunkvertrages „geschenkt“. Dieses nicht nur für Internet, soziale Netzwerke und Fotografie zu verwenden, sondern quasi nebenbei für VR – das klingt für mich nachvollziehbarer und logischer, als sich eine Brille allein für 700 Euro und mehr zuzulegen, die nach zwei Jahren vermutlich wieder total veraltet ist. VR für PCs ist wahrscheinlich auch in absehbarer Zukunft die viel teurere Lösung, die gewiss visuell und technisch mehr kann, aber dadurch noch lange nicht den Massenmarkt erreicht.
Vielleicht irre ich mich – ich bin aber guter Dinge, dass wir zum Weihnachtsgeschäft 2016 erkennen werden, wohin die VR-Reise geht.
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